Weihnachten in der Klinik Meissenberg

Besinnlichkeit mit Feingefühl

Die Festtage in einer psychiatrischen Klinik zu verbringen, kann schwierig sein. Die Klinik Meissenberg gestaltet diese Zeit mit liebevollen Ritualen und Rücksichtnahme. Für einige Patientinnen wird Weihnachten so zum ersten Mal ein Fest des Trostes und der Gemeinschaft.

Wer in der Vorweihnachtszeit die Klinik Meissenberg besucht, wird von einer besonderen Atmosphäre empfangen: In der Gartenanlage erstrahlen Bäume mit Lichterketten, innen zieren Tannenzapfen und festlich dekorierte Schneiderpuppen den Eingangsbereich. Ein aus Zweigen geflochtener Stern hängt von der Decke, und vor der Cafeteria thront ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum. Doch trotz aller festlicher Stimmung sucht man vergebens nach Kerzen. Eine Sicherheitsmassnahme, an die sich die Klinik Meissenberg konsequent hält – auch während der Weihnachtszeit.

Für Frauen, die Weihnachten in der Klinik verbringen, ist diese Zeit oft mit ambivalenten Gefühlen verbunden. Vor allem die Wochen vor den Feiertagen stellen Patientinnen vor grosse Herausforderungen. «Der Gedanke daran, die Festtage in der Klinik verbringen zu müssen, ist für einige besonders schwer», erklärt Monika Binder, Bereichsleiterin Pflege in der Klinik Meissenberg. «Doch wenn Weihnachten dann tatsächlich da ist, erleben viele, dass es weniger schlimm ist, als sie befürchtet hatten.» Trotzdem kann es auch zu schwierigen Situationen kommen – wie sonst im Klinikalltag auch. «Ich habe schon viele Weihnachten in der Klinik erlebt, und keines war wie das andere – mit schönen, wie auch traurigen Momenten.»

Festtage mit Rücksichtnahme

Um den Patientinnen eine Teilnahme an weihnachtlichen Aktivitäten zu erleichtern, stellt die Klinik Meissenberg jedes Jahr ein Festtagsprogramm mit zahlreichen Angeboten zusammen. Bereits Ende November beginnt die Einstimmung auf die Adventszeit mit einer ganz besonderen Tradition: eine Märchenerzählerin entführt jeweils die Patientinnen in andere Welten. Geschichten von mutigen Heldinnen, verwunschenen Wäldern und zauberhaften Begegnungen füllen den Raum und lassen die Realität für einen Moment in den Hintergrund treten. Am Chlausabend Anfang Dezember versammeln sich Patientinnen und Mitarbeitende vor der Klinik, um bei einer Feuerschale alkoholfreien Punsch zu trinken und den Samichlaus zu begrüssen. Anschliessend geniessen sie drinnen gemeinsam Raclette – ein beliebtes Ritual, das die Vorfreude auf die Feiertage weckt.

 

Wenige Tage vor Weihnachten findet schliesslich die Patientinnen-Weihnachtsfeier statt. Ein festliches Menü wird serviert, begleitet vom Chor Zug, der zum Mitsingen einlädt. Manche Patientinnen nehmen an den Festlichkeiten teil, andere bevorzugen es, sich zurückzuziehen – beides wird respektiert. «Ich schätze unsere Rituale und finde es wichtig, dass wir sie beibehalten», sagt Monika Binder. «Für viele Patientinnen bedeuten sie Halt und eine gewisse Normalität – aber wer sich hier zurückziehen möchte, darf das selbstverständlich tun. Dafür haben wir volles Verständnis.»

«Ich habe schon viele Weihnachten in der Klinik erlebt, und keines war wie das andere – mit schönen, wie auch traurigen Momenten.»

Monika Binder

 

Emotionale Begleitung

Nicht selten prägt Weihnachten auch die Therapiesitzungen während der Festtage: Viele Patientinnen bringen in dieser Zeit persönliche Fragen und Unsicherheiten mit, äussern gar Ängste. Häufig spielen belastende Erinnerungen, etwa an schwierige Kindheitserfahrungen oder Verluste, eine Rolle. Gerade die Jüngeren vergleichen ihre Situation oft mit idealisierten Bildern von Weihnachten, die sie aus den Medien oder ihrer Vergangenheit kennen. Ältere Patientinnen hingegen tragen oft eine tiefe Traurigkeit mit sich, wenn der Kontakt zur Familie abgebrochen ist oder Angehörige weit entfernt leben. «Es ist wichtig, diesen Gefühlen Raum zu geben und gemeinsam zu erarbeiten, wie die Patientinnen mit den Festtagen umgehen können», betont Monika Binder.

Kurzfristige Änderungen in der Planung sind daher die Regel: Manche Patientinnen entscheiden sich erst in letzter Minute, ob sie über Weihnachten nach Hause fahren, während andere aufgrund von Krisen frühzeitig in die Klinik zurückkehren. «Es gibt jedes Jahr Überraschungen», sagt Rosmarie Lichtenauer, Bereichsleiterin Hotellerie-Services der Klinik Meissenberg. «Die Feiertage sind nie gleich, aber genau das macht sie besonders.» Daher sei es wichtig, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen und gleichzeitig für alle ein stimmiges Rahmenprogramm zu schaffen. Das erfordert sowohl viel Flexibilität als auch Fingerspitzengefühl: «Am Ende des Tages geht es darum, dass jede Patientin den Raum bekommt, den sie braucht – sei es für die Gemeinschaft oder für den Rückzug.»

Spürbare Solidarität

Neben dem Rahmenprogramm bietet die Klinik Meissenberg den Patientinnen die Möglichkeit, die Festtage auf den jeweiligen Abteilungen individuell zu gestalten – mitsamt Tannenbaum und Weihnachtsschmuck. Nach einem Abendessen in der Cafeteria werden auf den Abteilungen Gesellschaftsspiele gespielt, Geschenke ausgetauscht oder gemeinsam ferngesehen. Auch kulinarische Wünsche versucht das Küchenteam zu erfüllen, von Guetzli über Panettone – bis zu Pizza, als sich jemand mit der Weihnachtsstimmung wenig verbunden fühlte.

«Eine Patientin kam mal auf mich zu und sagte, dass sie noch nie so schöne Weihnachten erlebt habe.»

Rosmarie Lichtenauer

 

Weihnachtsgeschenke dürfen ebenfalls nicht fehlen: Jedes Jahr wählt die Klinikleitung ein Geschenk aus, das allen Patientinnen Freude bereiten und gleichzeitig den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden soll. Besonders beliebt sind Wolldecken oder edle Hamam-Tücher, die in den kalten Wintermonaten nicht nur nützlich sind, sondern auch Geborgenheit symbolisieren. Die Wahl der Geschenke ist dabei ebenso durchdacht wie inklusiv. In der Klinik, die Patientinnen mit unterschiedlichsten kulturellen und religiösen Hintergründen aufnimmt, hat Weihnachten für manche Frauen keine Bedeutung. Vielmehr will man mit dem Geschenk ein Zeichen der Wertschätzung setzen, unabhängig davon, aus welchem Kulturkreis eine Patientin kommt. «Es geht uns darum, allen eine kleine Freude zu machen», betont Rosmarie Lichtenauer.

Momente der Freude

Weihnachten in der Klinik Meissenberg ist keine Zeit, in der Probleme verschwinden. Doch durch die Bemühungen des Teams und das bewusste Schaffen von Ritualen entstehen Momente der Gemeinschaft, des Trostes und manchmal sogar der Freude. In den meisten Fällen ist das Gemeinschaftsgefühl während der Festtage besonders stark – sowohl unter den Patientinnen als auch zwischen ihnen und dem Klinikpersonal. «Eine Patientin kam mal auf mich zu und sagte, dass sie noch nie so schöne Weihnachten erlebt habe», erinnert sich Rosi Lichtenauer. «Da war auch ich gerührt – und den Tränen nahe.»

Text Christoph Widmer

Foto Daniel Brühlmann

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