Pflegeausbildung
«An erster Stelle steht der Mensch – dann erst kommt die Ausbildung»
Lumni Ukaj ist seit 2021 als Leiter Ausbildung Pflege in der Klinik Meissenberg tätig. Im Interview gibt er Einblicke in seine vielseitige Arbeit, erläutert das von ihm eingeführte Ausbildungskonzept und erklärt, wie er versucht, das Stigma der Psychiatrie abzubauen.
Seit drei Jahren bist du als Leiter Ausbildung Pflege in der Klinik Meissenberg tätig. Wie hat sich dein Weg in die Klinik gestaltet?
Vor meiner Tätigkeit in der Klinik Meissenberg war ich 12 Jahre lang an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) tätig, davon 10 Jahre als Berufsbildner und Dozent im Raum Zürich. Mit der Zeit wuchs in mir der Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung. Im Austausch mit Monika Binder, der Leiterin des Pflegedienstes, spürte ich sofort grosse Wertschätzung und entschied mich, die Leitung der Ausbildung Pflege in der Klinik Meissenberg zu übernehmen. Da ich in Rotkreuz aufgewachsen bin, freue ich mich besonders, meine Erfahrung in der Region einbringen zu können.
Du bist nicht nur Leiter Ausbildung Pflege, sondern für alle Bereiche der Klinik zuständig. Wie handhabst du das?
Ich bin übergeordnet zuständig für den Bereich Ausbildung in der Klinik und arbeite eng mit den Berufsbildner*innen aus allen Bereichen zusammen. Ich mische mich aber nicht in Bereiche ein, in denen ich keine Expertise habe, wie etwa der Küche oder Hotellerie. Dort überlasse ich es den jeweiligen Verantwortlichen, Lernende auszuwählen. Ich halte eher übergeordnet die Fäden zusammen. Im Bereich Pflege aber trage ich die Verantwortung.
Kannst du deine Aufgabe als Leiter Ausbildung Pflege näher beschreiben?
Grundsätzlich ist meine Aufgabe die übergreifende Sicherstellung der Bildungsaufträge des Bundes. Dazu habe ich ein Konzept rund um die Pflegeausbildung in der Klinik Meissenberg etabliert. Ein weiterer Aufgabenpunkt ist die Pädagogik: Ich unterrichte unsere Lernenden und Studierenden zu verschiedenen Themen im Rahmen ihrer internen LTTs, den psychiatriespezifischen Unterrichtseinheiten, die Teil der Ausbildung sind. Und nicht zuletzt bin ich auch in der Innovation tätig: Ich muss die Herausforderungen für das Bildungssystem im Gesundheitswesen erkennen und Lösungen suchen.
Du erwähnst das Konzept für die Pflegeausbildung, das du in der Klinik Meissenberg eingeführt hast.
Genau, das war einer der ersten Schritte, die ich hier in der Klinik unternommen habe. Ich habe darin festgelegt, wie die Ausbildung für Studierende oder FaGe-Lernende aussehen soll und mir ein Jahr Zeit gegeben, um diese Struktur zu etablieren. Nach einem Jahr habe ich das Ausbildungsmodell noch einmal evaluiert und das Ergebnis war positiv.
Ausbildung in der Klinik Meissenberg
Die Klinik Meissenberg bietet auf ihren 5 Abteilungen für Fachpersonen Gesundheit sowie für Studierende der höheren Fachschule und Fachhochschule jedes Jahr Ausbildungsplätze als diplomierte Pflegefachpersonen an.
Was beinhaltet dieses Bildungskonzept und welche Werte sind darin zentral?
Die Schwerpunkte sind Struktur, Kommunikation und Begleitung. Für mich ist es von zentraler Bedeutung, dass eine einheitliche Struktur der Ausbildung über alle fünf Pflegeabteilungen hinweg sichergestellt wird. Denn unsere Lernenden und Studierenden wechseln pro Ausbildungsjahr die Abteilung – die Begleitung muss kongruent sein. Ihre Kompetenzen sind also nicht abteilungsspezifisch, sondern hausspezifisch – damit wir faire Abschlussprüfungen und eine einheitliche Qualität der Ausbildung sicherstellen können.
Was braucht es, damit ein solches System gut funktioniert?
Entscheidend ist das Engagement der gesamten Klinik, von der Geschäftsleitung über die Pflegedienstleitung, das Personalwesen, die Abteilungsleitungen bis hin zu jedem einzelnen Teammitglied auf den Abteilungen. Ein regelmässiger Austausch mit all diesen Parteien ist unerlässlich. Besonders der enge Kontakt mit unseren Berufsbildner*innen ist für mich von grosser Bedeutung. Die Hauptverantwortung für die praktische Ausbildung liegt bei ihnen.
Wie wirkt sich dies auf die Ausbildungsgestaltung aus?
Wir haben sowohl für die FaGe-Lernenden als auch für die Studierenden eigene Berufsbildner*innen auf jeder Abteilung. So können wir die engmaschige Begleitung der Auszubildenden sicherstellen. Das ist ein Luxus, den wir uns leisten. Die Berufsbildner*innen sind die erste Ansprechperson unserer Lernenden und erhalten für ihre Aufgabe genug zeitliche Ressourcen.
«Für eine hochwertige Pflegeausbildung ist das Engagement der gesamten Klinik entscheidend.»
Lumni Ukaj
Was sind die Vorteile dieses Systems?
Unsere Auszubildenden haben ausreichend Zeit für ihre Ausbildung und genügend Ansprechpersonen, die ihre erlernten Kompetenzen überprüfen. Mein Ziel ist es, eine nachhaltige Ausbildung zu gewährleisten, bei der sie umfassende Einblicke in alle Abläufe unserer Abteilungen erhalten. Sie sind bei uns keineswegs «billige Arbeitskräfte», sondern wertvolle Nachwuchstalente, die wir gezielt fördern möchten.
Im Bereich der Pflegeausbildung arbeitet die Klinik Meissenberg auch mit anderen Institutionen zusammen.
Ja, genau. Unsere FaGe-Lernenden und HF-Studierenden absolvieren ein Austauschpraktikum in der Rehaklinik Adelheid. Zudem haben wir eine Kooperation mit dem Altersheim Frauensteinmatt etabliert, das ein drei Monate dauerndes Austauschpraktikum für FaGe-Lernende anbietet. Darüber hinaus organisieren wir auch Kurzpraktika bei der Psychosozialen Spitex Zug. Die Pflege und Weiterentwicklung dieser Kooperationspartnerschaften ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit.
Was ist das Ziel solcher Fremdpraktika?
Es geht darum, den Auszubildenden Kompetenzen zu vermitteln, die wir in unserer Klinik nicht abdecken können. Da wir weder eine Somatikabteilung noch eine Langzeitpflegeabteilung haben, absolvieren die Auszubildenden entsprechende Praktikas in externen Einrichtungen. Intern bieten wir den ihnen zudem vielfältige Einblickstage der verschiedenen Berufsgruppen an. Das Ziel der Fremdpraktikas sind Wissens- und Perspektivenerweiterung mit auch wertvollen Entwicklungsmöglichkeiten.
Wie gestaltet sich das Auswahlverfahren für Lernende und Studierende im Bereich Pflege in der Klinik Meissenberg?
Nachdem ich die Unterlagen der Bewerber*innen geprüft habe, lade ich die Interessenten zum Vorstellungsgespräch ein. Wenn wir das Potenzial der Bewerber*innen erkennen, laden wir sie zu einem dreitägigen Eignungspraktikum ein. Während dieser drei Tage erhalten die Bewerber*innen Einblicke in eine unserer Abteilungen, können sich ein Bild von der Pflege in der Psychiatrie machen und bearbeiten kleinere Aufgaben.
Im Abschlussgespräch, an dem auch die Berufsbildner*innen teilnehmen, informieren wir die Interessenten darüber, dass wir uns spätestens in zwei Wochen mit einer Entscheidung bei ihnen melden werden. Der endgültige Entscheid erfolgt in gemeinsamer Absprache mit der Abteilungsleitung und den Berufsbildnerinnen.
Gibt es besondere Herausforderungen, Menschen für einen Pflegeberuf in der Psychiatrie zu begeistern?
Noch immer leidet die Psychiatrie unter einem gewissen Stigma. Oft ist das Bild in der Gesellschaft von psychiatrischen Kliniken falsch oder veraltet. Die Leute stellen sich vor, unser Alltag bestehe nur aus Zwangsmedikationen oder Fixationen. Aber wir sind therapeutisch tätig und arbeiten eng mit den Patientinnen zusammen. Es ist mir daher selbst ein Anliegen, mich für den Abbau dieses Stigmas einzusetzen.
Was unternimmst du konkret?
Auf Anfrage der Berufsschule Zug laden wir alle FaGe-Lernenden im zweiten Ausbildungsjahr regelmässig in unsere Klinik ein. Bei diesem Besuch halte ich ein Referat, um ihnen die Arbeit in der Psychiatrie näherzubringen. Während des Besuchstags haben die Lernenden die Gelegenheit, unsere Abteilungen zu besichtigen und sich selbst ein Bild von unserer Arbeit zu machen. Von jährlich etwa 60 FaGe-Lernenden sind nur rund 5 in der Psychiatrie tätig, während die anderen wenig über unsere spezifische Arbeit wissen.
Zusätzlich nehmen wir jährlich an der ZEBI in Luzern, der Woche der Gesundheitsberufe sowie der Berufswahlmesse in Zug teil. In diesem Jahr haben wir auch mit Freude am 1. Symposium für die Ausbildung zur Fachfrau / zum Fachmann Gesundheit in der PUK teilgenommen und einen der vier Workshops geleitet. Zudem engagieren wir uns aktiv an der neuen Bildungsverordnung, um sicherzustellen, dass psychiatrische Themen umfassender integriert werden
Wie ist die Reaktion der Schüler*innen im Anschluss?
Die meisten von ihnen sagen im Anschluss: «Ah das ist ja gar nicht so schlimm in der Psychiatrie». Wir betreuen schliesslich nicht nur Patientinnen in Notfallsituationen. Oft leiden sie an einer längerfristigen Krankheit. Die Entwicklung der Patientinnen mitzuerleben und ihre Dankbarkeit zu spüren – das sind die schönen Momente in unserem Beruf. Und die Lernenden erkennen vielleicht auch: Eine psychische Erkrankung kann jeden von uns treffen und es ist wertvoll, dass es psychiatrische Kliniken gibt.
«Noch immer leidet die Psychiatrie unter einem gewissen Stigma.»
Lumni Ukaj
Es kann aber eben auch zu schwierigen Momenten kommen. Wie werden die Auszubildenden auf Notfälle vorbereitet?
Im Notfall müssen sie in der Lage sein, schnell zu reagieren und sich zu organisieren – diese Fähigkeit vermitteln wir ihnen während der Ausbildung. Sollte sie das Erlebte belasten, so stehen ihnen mehrere Anlaufstellen zur Verfügung. Meine Tür steht ihnen dabei immer offen. Zudem führe ich während der Ausbildung Einzelgespräche mit jedem Auszubildenden. Für mich steht der Mensch und sein Wohlbefinden an erster Stelle, dann erst kommt die Ausbildung.
Was sind die schönsten Momente, die du in den letzten drei Jahren in der Klinik Meissenberg erleben durftest?
Das Schönste für mich ist der Erfolg der Lernenden und Studierenden. Ich bin stolz darauf, dass in den letzten drei Jahren alle erfolgreich bestanden haben. Das zeigt mir auch, dass meine Bemühungen und meine Struktur Wirkung zeigen. Es freut mich auch, wenn unsere FaGe-Lernenden nach einer Zeit wieder für ein Pflegestudium in die Klinik zurückkehren – da spüre ich dann auch viel Vertrauen und Dankbarkeit.
Welche weiteren Gründe führen dazu, dass du der Klinik treu bleibst?
Ich habe hier ein tolles Team um mich – Menschen, die mich seit Beginn meiner Tätigkeit unterstützten. Und ich erhalte hier auch die Freiheit, meine Visionen umzusetzen. Seitens der Geschäftsführerin, Beatrice Bill-Wyss und meiner direkten Vorgesetzten Monika Binder spüre ich ebenfalls eine grosse Wertschätzung und Offenheit. Sie geben mir den Gestaltungsfreiraum, um der Bildung gerecht zu werden. Zudem schätze ich den Austausch mit anderen Institutionen: Beispielsweise mit Susanne Koch von Triaplus oder Alois Vogel aus der Luzerner Psychiatrie pflege ich eine sehr gute Zusammenarbeit. Gemeinsam setzen wir uns für die Qualität der Ausbildung in der psychiatrischen Pflege ein.
Text Delia Freitag
Foto Daniel Brühlmann